Matthias Dudde M. A.

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Leseproben

Eine vergessene Fotografin neu entdecken

Der Nachlass von Anne Winterer (1894-1938)

aus: industrie-kultur. Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte, 1/2007 S. 38f.

Text als PDF - 1,17 MB

Das Rheinische Industriemuseum (RIM) hat im Jahr 2004 etwa 500 Abzüge und Negative sowie Dokumente zur beruflichen Laufbahn aus dem Nachlass der Konstanzer Fotografin Anne Winterer gekauft. Die "vergessene" Fotografin war der ältere und erfahrene Teil der Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer in Düsseldorf. Die Fotos dokumentieren ihren Blick auf Industrie und Handwerk im Deutschland der 1930er Jahre. Dieser "Fall" ist zugleich ein Beispiel für die vielen offenen Fragen, die sich aus den überlieferten Fotos und einem Fotoatelier als Unternehmen ergeben.

Anne Winterer wurde am 21. September 1894 in Konstanz geboren. Ihr Vater hatte sich als "Kunstgärtner" einen größeren Betrieb aufgebaut. 1912 begann sie in ihrer Heimatstadt eine Lehre bei dem Fotografen Hübner, die sie 1915 mit der Gesellenprüfung beendete. Anschließend verließ sie ihre Heimatstadt. Für wenige Wochen leitete sie in Furtwangen in Baden das "Atelier für moderne Photographie! Alb. Ziegler" für die Ehefrau des im Weltkrieg gefallenen Inhabers. Im August 1915 ging sie nach Düsseldorf. In Emil Lichtenbergs "Atelier für photographische Bildnisse" spezialisierte sie sich auf technische, industrielle und Architekturaufnahmen. 1917 wechselte sie ins "Photographischen Atelier Constantin Luck". Der Fotograf Luck führt in seinem Arbeitszeugnis für Anne Winterer aus, dass sie sämtliche Porträtaufnahmen, besonders von Kindern, gemacht habe.

Partnerschaft mit Erna Hehmke

Aus den Jahren nach der fotografischen Ausbildung liegen über den beruflichen Weg Winterers keine Informationen vor. Erst aus dem Jahre 1924 ist bekannt, dass sie die elf Jahre jüngere Erna Hehmke aus Breslau kennen lernte. Ein Jahr später zog Hehmke nach Düsseldorf. In der gemeinsamen "Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer" bildete Anne Winterer sie als Fotografin aus, so dass Erna Hehmke später die Meisterprüfung ablegen konnte. Anlässlich der "Großen Ausstellung Düsseldorf 1926 für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen" (Gesolei) wurde "Hehmke-Winterer" in der Kategorie wissenschaftliche Aussteller mit einer Goldenen Medaille der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet. 1935 verließ Anne Winterer die Lichtbildwerkstatt und richtete in Konstanz ein neues Atelier ein. Die Gründe für diese Trennung sind nicht bekannt. Die nunmehr verheiratete Erna Wagner-Hehmke führte das Atelier unter dem eingeführten Namen Hehmke-Winterer weiter.

Anne Winterer war viel unterwegs und hat nach dem Atelierumzug größere Reisen unternommen. Die Ateliers in Düsseldorf und in Konstanz waren Ausgangspunkt für (Foto-)Fahrten in die Eifel und an den Niederrhein sowie rund um den Bodensee und in den Schwarzwald. Ferner verweisen Fotos auf Reisen nach Nordfriesland, nach Schlesien, ins Saarland und nach Bayern. Darüber hinaus nahm sie an KdF-Fahrten nach Italien und auf dem im März 1938 in Dienst gestellten Passagierschiff "Wilhelm Gustloff" zur portugisischen Insel Madeira teil. Eine Mitgliedschaft in einer der NS-Organisationen konnte bisher nicht ermittelt werden. Anne Winterer starb am 17. August 1938 in einem Berliner Krankenhaus an einer Krebserkrankung - im Alter von erst 43 Jahren.

Viele Angaben fehlen

Die vorliegenden Fotos von Anne Winterer wurden von der Familie in Konstanz aufbewahrt. Nach ihrer Auskunft haben die beiden Geschäftspartnerinnen Hehmke und Winterer damals das fotografische Vermögen gemäß ihrer Urheberschaft aufgeteilt. Detaillierte Informationen zu dem Nachlass liegen jedoch nicht vor. Auf den Rückseiten der meisten Abzüge sind Motivtitel vermerkt, die oft einen vagen Hinweis auf den Ort der Aufnahme enthalten. Zeitangaben fehlen völlig. So gilt es die Geschichte ihrer Entstehung sowie Angaben zur fotografierenden Person, zum abgebildeten Ort, zum Zeitpunkt der Aufnahme zu recherchieren, um die Geschichte hinter den Fotografien sichtbar zu machen.

Wichtige Hinweise liefert die mühsame Suche nach Zeitschriften und Büchern mit Winterer-Fotos. Dabei zeigt sich, dass bis 1935 die Fotos unter dem Nachweis "Hehmke-Winterer" veröffentlicht wurden. Dies macht die genaue Zuordnung der Fotos zu einer der beiden Fotografinnen schwierig. Durch Vergleich mit den "Konstanzer" Fotos kann ein Teil der publizierten Bilder relativ zuverlässig Anne Winterer zugeschrieben werden.

Auf der Suche

Zahlreiche Fotos von ihr finden sich in der 1929 gegründeten Kulturzeitschrift Atlantis. Im Februar-Heft von 1932 illustrieren zwölf Fotos von ihr den Artikel "Fastnacht in Elzach, Villingen und Überlingen" des badischen Heimatforschers Hermann Eris Busse. Diese Fotos sind zugleich die früheste bekannte Veröffentlichung Anne Winterers. Den fotografischen Höhepunkt in der Atlantis erreichte Anne Winterer zwei Jahre später. Das Titelfoto für das Septemberheft 1934 stammt von ihr. Im Inneren des Heftes sind insgesamt 50 Hehmke-Winterer-Fotos, die zum einen unter dem Titel "Typen- und Industriebilder" in Tiefdruck abgebildet sind und zum anderen den Artikel von Arnold Nagel "Industrie und Handwerk an der Saar" illustrieren. Die Mehrzahl der Fotos kann Anne Winterer zugeordnet werden.

Ab 1936 veröffentlichte Anne Winterer ihre Fotos unter eigenem Namen. In der Zechen-Zeitung der Dortmunder Schachtanlage Minister Stein und Fürst Hardenberg erscheint im selben Jahr der Artikel "Zwergenzechen an der Ruhr", der mit sechs Fotos illustriert ist. In den folgenden zwei Jahren hatte sie noch mindestens zwei große Aufträge. Für die Firmenjubiläen 25 Jahre Aluminium-Walzwerk Singen (1937) und 50 Jahre Parkbrauerei Pirmasens-Zweibrücken (1938) stellte sie die Fotos für die Firmenfestschriften her.

Die Suche nach Winterer-Fotos brachte zahlreiche Aufnahmen in den Jahrgängen 1937 bis 1939 der Werkszeitschrift der Harpener Bergbau AG (Dortmund) hervor, die entweder mit Hehmke-Winterer oder Anne Winterer signiert sind. Die Quelle Werkszeitung vermittelt den Eindruck, präzisiere Aussagen über den Entstehungskontext, den Zeitpunkt der Aufnahme und die abgebildeten Orte treffen zu können. Eine große Zahl dieser "Harpener Fotos" ist jedoch vermutlich schon 1934 entstanden, denn sie sind in dem Anfang 1935 veröffentlichten Buch "Industrievolk an der Ruhr" enthalten. Mehr aber ist darüber nicht bekannt.

Diese Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit einer umfassenden Quellenkritik, da Fotografien auch eine wichtige Quelle für die historische Forschung sind und sie bei der Darstellung historischen Wissens eine wichtige Rolle spielen. Die quellenkritischen Fragen und ihre Beantwortung ermöglichen es, einen Teil der überlieferten Fotos Anne Winterers genauer zu bestimmen und damit auch Aspekte zum Binnenverhältnis im Unternehmen "Lichtbildwerkstatt" zu erhalten. Außer dem Rheinischen Industriemuseum in Oberhausen kann die Internetseite www.anne-winterer.de (sie wird von der Geschichtsagentur Dudde und Nies betreut) als eine Plattform zur Sammlung und zum Austausch von Hinweisen und Rechercheergebnissen dienen.

Matthias Dudde, Dortmund

Industrie-Kultur
Magazin für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte